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Samstag, 21. September 2013

Tod des John Demjanjuk

Sind die Ärzte schuld an seinem Tod? Die 88-jährige Witwe Demjanjuks klagt die Mediziner an. Sie lehnt die von der Staatsanwaltschaft Rosenheim (AZ: 402 Js 16380/12) beauftragten Gutachter als offensichtlich befangen ab:

In der Ermittlungssache
gegen Dr. S. u.a.
hier: Demjanjuk

nehme ich Bezug auf die Verfügung der Staatsanwaltschaft Traunstein vom 27.8.2013 sowie das Ergänzungsgutachten der Sachverständigen vom 10.7.2012.

Folgende Gutachter werden von den Anzeigeerstattern wegen offensichtlicher Befangenheit abgelehnt:

1. Prof. Dr. med. A.
2. Dr. med. V.
3. Dr. med. R.


B e w e i s: Dienstliche Äußerung der abgelehnten Sachverständigen

B e g r ü n d u n g:

Das Gutachten sowie das Ergänzungsgutachten stellen aus der Sicht der Anzeigeerstatter in erschreckender Weise umfassend die  medizinischen und juristischen Wahrheiten, Grundsätze und wissenschaftlichen Erkenntnisse geradezu

auf den Kopf.

Beide Gutachten sind mit den medizinischen und juristischen Erfahrungs- und Denkgesetzen

unvereinbar und objektiv ungeeignet.

Die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen sind  objektiv sachwillkürlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und liegen außerhalb des medizinisch und juristisch Vertretbaren.

I.

Der Gutachterauftrag

Der Gutachterauftrag lautete:

„1. Entsprach die Behandlung des verstorbenen Herrn Demjanjuk mit Novalgin angesichts seiner Vorerkrankungen den Regeln der ärztlichen Kunst? In diesem Zusammenhang bitte ich aus den übergebenen Krankenunterlagen festzustellen, wer seit wann Herrn Demjanjuk mit Novalgin behandelte.

2. Falls die Behandlung mit Novalgin nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach, bitte ich aus wissenschaftlicher Sicht Stellung zu nehmen zu folgender Frage:

War die Behandlung mit Novalgin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kausal für den Todeseintritt?“

II.

Die Antworten im Ergänzungsgutachten vom 10.7.2013

Die Antworten im Ergänzungsgutachten lauten:

1. Blatt 516:

Gemäß Fachinformation entsprach die Behandlung mit Metamizol bei „Störungen der Knochenmarkfunktion“ oder „Erkrankungen der Hämatopoese“ wie im Fall von Herrn Demjanjuk nicht dem Zulassungsstatus.
Es handelt sich, wie im Gutachten dargelegt, um einen sogenannten „off lable use“. In diesem Fall muss der behandelnde Arzt eine besondere Sorgfaltspflicht walten lassen. Diese ist in der elektronischen Patientenkartei von Dr. Selmayr dokumentiert durch regelmäßige Arzt-Patienten-Kontakte in Verbindung mit regelmäßigen und in adäquaten Intervallen durchgeführten Blutbildkontrollen. Diese waren das am besten geeignete Mittel, mögliche Metamizol-Nebenwirkungen auf das Blutbild, insbesondere eine Verschlechterung der absoluten Zahl an neutrophilen Granulotzyten im peripheren Blut, erkennen zu können.

2. Blatt 517:

In der individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung bei medizinisch zweifelsfrei indizierter analgestischer Therapie war die Behandlung mit Metamizol unter Berücksichtigung aller genannten Teilaspekte auch

außerhalb der formalen Zulassung eine klinisch vertretbare Wahl.

3. Blatt 517:

Die im Gutachtenauftrag aufgegebene Frage war derart formuliert, ob die Metamizol-Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich für den Todeseintritt des verstorbenen John Demjanjuk angesehen werden darf. Dies gilt es klar zu verneinen.

4. Blatt 514:

Es wird sich in Blatt 384 der Akte auf die Stellungnahme der Ärztekommission der Bundesärztekammer bezogen, infolge auch auf seine Aktualisierung. Formal betrachtet, haben die Stellungnahmen der Bundesärztekammer und die der Arzneimittelkommission der BÄK informativ – empfehlenden Charakter, es handelt sich hier jedoch nicht um eine Richt- oder Leitlinie. Relevant ist hier die für das jeweilige Medikament vorliegende Fachinformation. Hierunter versteht man ein zusammenfassend detailliertes Werk, das von der zuständigen Behörde in der Europäischen Union oder für Deutschland dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigt werden muss. Diese Fachinformation wurde neben entsprechender Fachliteratur als Grundlage im Gutachten für das verwendete Medikament Metamizol verwendet.

5. Blatt 350:

Grundsätzlich steht also ein großes Spektrum analgetischer Substanzen zur Verfügung. Der schmerztherapeutisch tätige Arzt steht im vorliegenden Casus  vor einem Dilemma: Metamizol ist formal nicht zur Schmerzbehandlung zugelassen. Die Kontraindikation leitet sich aber wie oben ausführlich dargestellt primär aus dem Agranulozytose-Risiko her, deren Folgen möglicherweise bei vorbestehender Knochenmarkserkrankung wie einem myelodysplastischen Syndrom schwerwiegender ausfallen könnte. Somit ist in diesem Punkt im konkreten Casus sicherlich viel eher von einer relativen als von einer absoluten Kontraindikation zu sprechen.

6. Blatt 351:

Als Fazit soll herausgearbeitet werden, dass kein Schmerzmittel im vorliegenden Casus ohne absolute oder relative Kontraindikation hätte verabreicht werden können.

III.

Die wahren Voraussetzungen eines zulässigen „off lable use“
entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst

1. Die Gutachter bezeichnen die Stellungnahmen der Ärztekommission der Bundesärztekammer als „informativ empfehlend“.

Nach den Empfehlungen der Bundesärztekammer kam hier im Falle Demjanjuk

der Einsatz von Metamizol von vorne herein nicht in Frage und widersprach in krassester Weise den Regeln der ärztlichen Kunst.

2. Die Gutachter entlasten die Beschuldigten mit dem objektiv unwahren Hinweis, die Empfehlungen der Bundesärztekammer seien nur informativ empfehlend.

Dies ist mit der Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte Stand 2011

schlechterdings unvereinbar.

§ 13 Abs. 1 der ärztlichen Berufsordnung lautet:

Bei speziellen medizinischen Maßnahmen oder Verfahren, die ethische Probleme aufwerfen und zu denen die Ärztekammer Empfehlungen zur Indikationsstellung und zur Ausführung festgelegt hat, haben Ärztinnen und Ärzte die Empfehlungen zu beachten.

§ 8 der Berufsordnung lautet:

Zur Behandlung bedürfen Ärztinnen und Ärzte der Einwilligung der Patientin oder des Patienten. Der Einwilligung hat grundsätzlich die erforderliche Aufklärung im persönlichen Gespräch vorauszugehen. Die Aufklärung hat der Patientin oder des Patienten insbesondere vor operativen Eingriffen Bedeutung und Tragweite der Behandlung einschließlich Behandlungsalternativen und die mit ihnen verbundenen Risiken in verständlicher und angemessener Weise zu verdeutlichen. Insbesondere vor diagnostischen und operativen Eigriffen ist soweit möglich eine ausreichende Bedenkzeit vor der weiteren Behandlung zu gewährleisten. Je weniger eine Maßnahme medizinisch geboten und je größer ihre Tragweite ist, umso ausführlicher und eindrücklicher sind Patientinnen oder Patienten über erreichbare Ergebnisse und Risiken aufzuklären.

§ 10 Abs. 1 der Berufsordnung lautet:

Ärztinnen und Ärzte haben über die in Ausübung ihres Berufs gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese sind nicht nur gedächtnisstützend für die Ärztin oder den Arzt, sie dienen auch dem Interesse der Patientin oder des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.

Bereits auf der Grundlage der ärztlichen Berufsordnung steht fest, dass den Empfehlungen der Bundesärztekammer, wie sie im diesseitigen Schriftsatz Blatt 384 mitgeteilt wurden, von Seiten der Ärzte zwingend nachzukommen war.

3. Soweit die Gutachter behaupten, nicht die Bundesärztekammer, sondern allein die Feststellungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte seien maßgebend, verschweigen die Gutachter, dass gerade dieses Institut sich in vollem Umfange den Empfehlungen der Bundesärztekammer angeschlossen hat.

So heißt es in der pharmazeutischen Zeitung online vom 5.6.2009:

Die steigenden Verordnungszahlen des verschreibungspflichtigen Schmerzmittels Metamizol haben zu einer Zunahme von schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen geführt. Dies nimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Anlass, bei Ärzten die enge Indikationsstellung und die Beachtung der Warnhinweise anzumahnen. So ist Metamizol ausschließlich zur Behandlung starker Schmerzen zugelassen, falls andere analgetische Maßnahmen nicht greifen. Ebenfalls darf es nur bei hohem Fieber angewendet werden, wenn andere Maßnahmen keine Wirksamkeit zeigen. Eine mögliche Nebenwirkung der Behandlung ist die Entwicklung einer Agranulozytose, die tödlich enden kann. Das Risiko dafür steigt mit der Dauer der Anwendung. Daher sollte das Medikament nur kurzfristig angewendet werden. Zudem kann der Arzneistoff tödliche hypotensive Reaktionen auslösen. Da das Risiko bei parenteraler Applikation erhöht ist, ist eine parenterale Gabe nur zugelassen, wenn eine orale oder rektale Gabe nicht möglich ist.

Der Bericht in der pharmazeutischen Zeitung online wird in der Anlage überreicht und zum Inhalt des diesseitigen Vortrages gemacht.

4. Im Ergänzungsgutachten heißt es, Blatt 516 / Blatt 517:

Die Gründe für den Wechsel der Schmerzmedikamente von niedrig-potenten Opioiden (wie Tramadol) auf Metamizol lassen sich anhand der vorgelegten Dokumente nicht eruieren. Finanzielle Erwägungen dürften bei heute durchschnittlichen Tagestherapiekosten von ca. 1,12 EURO bei 4 x täglich 500 mg Metamizol und von ca. 0,67 EURO bei dem etwas billigeren Tramadol mit 100 mg 2 x täglich keine Rolle gespielt haben. Es wurde von den Gutachtern auch nicht behauptet, dass die Behandlung mit Metamizol die allein richtige und / oder beste Behandlungsoption gewesen sei. Vielmehr wurde die Verordnung im Kontext der Komorbiditäten  und anderer möglicher Analgetika analysiert und bewertet (Abschnitt II.4.8).

In diesem Abschnitt des Gutachtens vom 8.11.2012 behaupten die abgelehnten Gutachter der objektiven Wahrheit zuwider, dass im Falle Demjanjuk kein Schmerzmittel ohne absolute oder relative Kontraindikation hätte verabreicht werden können.

Die Gutachter beschuldigen damit objektiv die beamteten Ärzte der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim, dem Verstorbenen ohne sein Einverständnis und ohne jede Aufklärung im Rahmen der gebotenen Schmerztherapie Tramadol bzw. niedrig potente Opioide verabreicht zu haben, obwohl diese absolut oder relativ kontraindiziert gewesen seien.

Diese Behauptung ist in jeder Beziehung unvertretbar. Die Gutachter widerlegen sich unverzüglich selbst:

Sie räumen nämlich ein, dass die niedrig potenten Opioide zugelassene Schmerzmittel sind. Auf Seite 32 des Gutachtens, Blatt 350 der Ermittlungsakte behaupten sie hingegen unverständlicherweise:
Metamizol ist formal nicht zur Schmerzbehandlung zugelassen.

Die Gutachter verschweigen, dass Tramadol bzw. niedrig-potente Opioide trotz Vorliegens einer Knochenmarkserkrankung angewandt werden darf, während die Anwendung von Metamizol ausdrücklich vom Hersteller verboten wird.

Sie verschweigen, dass das Risiko und die Kontraindikation von Metamizol nicht nur im Agranulozytose-Risiko besteht, sondern entsprechend der bereits zitierten Äußerung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte weitere tödliche Risiken enthält, die sich im Falle Demjanjuk sicher verwirklicht haben.

Die Gutachter verschweigen, dass die Risiken der Verabreichung von Metamizol tödliche Risiken darstellen, die Risiken der Verabreichung von niedrig potenten Opioiden jedoch gerade nicht. Die Risiken der niedrig potenten Opioide werden von den Gutachtern nämlich auf Blatt 351 / Blatt 33 des Gutachtens, wie folgt beschrieben:

Neben Atemdepression, Kreislauf-Dysregulation, häufig gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen, Darmträgheit bis hin zur Obstipation (Verstopfung) und (vor allem in der ersten Therapiephase) zentralnervösen Symptomen wie Müdigkeit, Benommenheit und Einbußen in der Reaktionszeit können sie über Leberstoffwechselwege Interaktionen mit anderen Medikamenten hervorrufen. Auch hier sind in den entsprechenden Fachinformationen Warnhinweise für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und generell für „alte“ Menschen aufgeführt, die eine Dosismodifikation zu bedenken geben und vor einem unkritischen Einsatz warnen.

Es ist offensichtlich, dass die Inkaufnahme solcher Nebenwirkungen bei niedrig potenten Opioiden keinen Vergleich mit der Inkaufnahme von tödlichen Risiken bei Einnahme von Metamizol aushalten kann.

Die drei befangenen Gutachter behaupten, John Demjanjuk wäre es zumutbar gewesen, die tödlichen Risiken der Einnahme von Metamizol in Kauf zu nehmen, um Übelkeit und Erbrechen, Darmträgheit und Verstopfung bei Einnahme von Tramadol zu vermeiden.

Dies ist nicht hinnehmbar und widerspricht jedweder medizinischen und juristischen Regel.

Es kommt hinzu, dass offensichtlich der verstorbene Herr Demjanjuk die Schmerztherapie mit Tramadol, die ohne jeden dokumentierten Grund auf Metamizol umgestellt wurde, vertrug und dabei über zwei Jahre in der JVA keine nennenswerten Nebenwirkungen hatte. Diese seit über zwei Jahren angewandte Schmerztherapie entsprach den Regeln der ärztlichen Kunst und den juristischen Grenzen ärztlichen Handelns. Hingegen war die Schmerzbehandlung mit Metamizol eine Behandlung mit einem nicht zugelassenen und angesichts der Knochenmarkerkrankung verbotenen Arzneimittel, wobei die Behandlung tödliche Risiken barg.

5. Es ist medizinisch gesicherte Erkenntnis und Standard, dass die Anwendung von Tramadol als Schmerzmittel bei John Demjanjuk weder relativ noch absolut kontraindiziert war. In den Hinweisen bei Wikipedia.de. wikipedia.org/wiki/Tramandol wird keinerlei Kontraindikation, weder eine relative noch eine absolute beschrieben. Die Nebenwirkungen werden wie folgt angegeben:

Nebenwirkungen wie Schwitzen, Sedierung und Verwirrtheit können auftreten, ebenso wie Schläfrigkeit und verschwommene Sicht. In therapeutischer Dosierung hat Tramadol wegen seiner geringen m-Selektivität keinen beachtenswerten Einfluss auf die Atmung und den Pulmunalateriendruck. Häufig wird eine starke Übelkeit beobachtet, sowohl bei oraler Gabe als auch bei zu schneller Injektion. Blutdruck und Pulsfrequenz werden kaum beeinflusst. Von Krampfanfällen wurde berichtet, insbesondere bei Gabe von Dosen oberhalb der therapeutischen Dosis.

Die Behauptung der abgelehnten Gutachter, die Vergabe von Tramadol an den verstorbenen John Demjanjuk sei relativ oder absolut kontraindiziert gewesen, ist objektiv eine

medizinische Unwahrheit.

6. Die abgelehnten Gutachter behaupten, die Vergabe von Metamizol sei im vorliegenden Fall nach den Regeln des „off lable use“ zu beurteilen. Die Vergabe von Metamizol im konkreten Falle sei allenfalls relativ kontraindiziert, keinesfalls absolut kontraindiziert.

Auch diese Behauptungen sind objektiv

allesamt medizinische und juristische Unwahrheiten.

Unter www.arzneistoffe.net/Metamizol.html heißt es:

Arzneistoffe von A bis Z / Metamizol unter dem Stichwort Gegenanzeigen (Kontraindikationen)

Im Folgenden sind absolute Gegenanzeigen (Situationen, in denen der Arzneistoff auf keinen Fall verabreicht werden sollte) und relative Gegenanzeigen (Situationen, in denen der Arzneistoff nur mit Vorsicht verabreicht werden sollte) aufgelistet. …

Absolute Gegenanzeigen

Störungen der Knochenmarkfunktion (z. B. nach Behandlung mit Zytostatika, die bei Krebsleiden gegeben werden) oder Erkrankungen des hämatopoetischen Systems (Erkrankungen der Blutbildung)

Als relative Gegenanzeigen werden aufgeführt:

Schwangerschaft
Stillzeit
Patienten mit erhöhtem Risiko für anaphylaktoide Reaktionen, z.B. allergisch bedingtem Asthma, bronchiale, chronische Urtikaria, Alkoholintoleranz, Farbstoff- und / oder Konservierungsmittelintoleranz
Erkrankungen, die mit einer Verminderung der Anzahl der weißen Blutkörperchen einhergehen
Nierenfunktionsstörungen
Leberfunktionsstörungen

Die Unterlage wird in der Anlage überreicht und zum Inhalt des diesseitigen Vortrages gemacht.

Medizinisch und juristisch steht somit fest, dass die Vergabe von Metamizol bei der Vorerkrankung des verstorbenen John Demjanjuk absolut kontraindiziert war. Die absolute Kontraindikation von Metamizol ergibt sich jedoch nicht nur aus dem Stand der medizinischen Wissenschaft, sondern direkt auch aus dem Beipackzettel des Herstellers. Es wird aus diesem (Blatt 218 der Ermittlungsakten) erneut wie folgt zitiert:

Novaminsulfon-ratiopharm darf  NICHT eingenommen werden

wenn bei Ihnen Erkrankungen der Blutbildung (Erkrankungen des hämatopoetischen Systems) vorliegen …

Damit steht gleichzeitig fest:

Der von den Gutachtern behauptete „off lable use“ lag im vorliegenden Fall überhaupt nicht vor.

Ganz im Gegenteil, es lag und liegt vor ein Fall, den die angelsächsische und amerikanische medizinische Wissenschaft als

„kontra-indicated use“

qualifizieren. Im Deutschsprachigen medizinisch wissenschaftlichen Bereich muss insofern von

bestimmungswidrigen Gebrauch bzw. nicht etabliertem kontra-lable-use gesprochen werden.

Dass der Einsatz vom Metamizol mit seinen keinesfalls nur auf die Agranulozytose beschränkten tödlichen Risiken über einen in keinem Fall erlaubten monatelangen Zeitraum von weit mehr als 6 Monaten in hohen Dosen eine schwere Körperverletzung mit lebensgefährlicher Behandlung durch die beschuldigten Ärzte war, daran kann kein vernünftiger medizinischer und juristischer Zweifel bestehen.

IV.

Fehlendes Einverständnis und fehlende Aufklärung des Patienten

Die Gutachter verschweigen sowohl in ihrem Hauptgutachten als auch in ihrem Ergänzungsgutachten Folgendes:

1. Bei jedem Medikament, welches kontraindiziert ist oder nicht zugelassen ist zur Behandlung, muss der Patienten umfassend über die mit der Einnahme des Medikamentes verbundenen Risiken aufgeklärt werden. Dies ist nicht geschehen.

2. Der Patient muss sich mit der Behandlung mit dem kontraindizierten und nicht zugelassenen Arzneimittel ausdrücklich einverstanden erklären. Ein Einverständnis von Herrn John Demjanjuk hat zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

Die fehlende Aufklärung und das fehlende Einverständnis des Patienten führen ausweislich der Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte dazu, dass die Verabreichung und Verschreibung von Metamizol im vorliegenden Fall mit den Regeln der ärztlichen Kunst unvereinbar war. Einverständnis und Aufklärung des Patienten gehören zu den unverzichtbaren Vorbedingungen dafür, dass ein Medikament entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst verabreicht wird.

Liegen Einverständnis und Aufklärung nicht vor, ist es dem Arzt generell, ohne Wenn und Aber untersagt, das Medikament einzusetzen. Juristisch wirkt sich das fehlende Einverständnis bzw. die fehlende Aufklärung des Patienten bei Verabreichung des verbotenen Arzneimittels als Körperverletzung in der Form der schweren Körperverletzung aus. Metamizol ist ein Medikament, welches bei vorbestehender Knochenmarkerkrankung tödliche Risiken in sich birgt.

Es handelt sich um eine das Leben gefährdende Behandlung. Für § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB reicht es aus, dass die Art der Behandlung nach den Umständen des Einzelfalles generell dazu geeignet ist, das Leben zu gefährden. Die Gefahr muss sich nicht realisiert haben. Ein Gefährdungserfolg muss nicht eingetreten sein.

Der Tatbestand des § 224 StGB ist daher unzweifelhaft erfüllt. Die monatelange Verabreichung eines absolut kontraindizierten Medikamentes entgegen den Verboten des Herstellers unter Inkaufnahme der mit der Einnahme des Medikamentes verbundenen tödlichen Risiken erfüllt darüber hinaus bei Eintritt des Todes  den Tatbestand des § 212 StGB, es sei denn, eine andere Todesursache liegt vor und ist bewiesen.

V.

Keine Alternativen?

Voraussetzung für den Einsatz von Metamizol unter Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst war neben der Aufklärung und dem Einverständnis zwingend die medizinische Alternativlosigkeit zur Behandlung mit Metamizol. Die Behandlung mit Metamizol musste medizinisch wissenschaftlich die einzige noch denkbare und allein noch zur Verfügung stehende „letzte“  medizinische Möglichkeit der Schmerzbehandlung sein. Dies ist Grundvoraussetzung für den Off lable use eines Medikamentes, Alternativen dürfen nicht zur Verfügung stehen.

Dass im vorliegenden Fall Alternativen zur Verfügung standen, räumen die befangenen Gutachter selbst ein. Im Hauptgutachten müssen sie sogar gestehen, dass die Behandlung mit Tramadol keine tödlichen Risiken in sich barg. Im Ergänzungsgutachten müssen sie eingestehen, dass die JVA und die Ärzte der JVA die Schmerztherapie über zwei Jahre lang mit Tramadol betrieben haben.

Sie müssen eingestehen, dass es keinen Grund für einen Wechsel der Schmerztherapie durch Umstellung von Tramadol auf Metamizol gegeben hat und kein solcher Grund in irgendeiner Weise in den Arztunterlagen oder sonst dokumentiert ist.

Die medizinische Konsequenz ist, dass fehlendes Einverständnis, fehlende Aufklärung und das Vorliegen alternativer Behandlungsformen im Rahmen der erforderlichen Schmerztherapie den Einsatz von Metamizol

als im konkreten Fall unvertretbar und außerhalb der medizinischen Regeln stehend machte, dass aus dem gleichen Grunde juristisch vom Vorliegen einer schweren Körperverletzung des Herrn Demjanjuk durch die behandelnden Ärzte und seine Tötung zwingend auszugehen ist.

VI.

Verweigerung einer Stellungnahme

Unter VIII des Schriftsatzes vom 21.12.2012, Blatt 438 wurden die ärztlichen Maßnahmen nach dem 6.3.2012 beschrieben.

Die Beschreibung lautete wie folgt:

6.3.12 L Labordaten E (Labor-Facharzt-Bericht) (Raubling – MVZ – Bad)


8.3.12 R MCP AL TROPFEN LOE 100 ml (30 Tr, 30 Tr, 30 Tr, =) P*NAC 600 AKUT
1A PHARMA BTA 20 St.
hat o-bauchbeschwerden, meint galle, möchte nochmal mcp gtt

12.3.12 R NOVAMINSULFON 500 1A PHARM FTA 50 St (1, 1, 1, 1)
von lukas marcumar angefordert?
13.3.12
15.3.12 K Virusinfektion (B34.9G)
    R NOVAMINSULFON ABZ 500MG/ML TRO 20 ml P*NASENSPRAY AL
0,1 % NAS 10 ml
    3 novalgin 30 tr. nasenspray
    T red az, infekt, fieber 0, rückenschmerzen, gliederschmerzen, nase u. ohren
pfeifen, tf re o.b., li cerumen, lunge ausk.frei, abdomen gebl. darmger.lebhaft,
druckschmerz im abdomen
16.3.12 K Medikamentenverordnung
    3 soll ihm 30 gtt novalgin geben
   T tel. 23:45 Uhr pfleger thiel: klagt über schmerzen in brust, wenn man aus
zimmer geht, hört man aber nichts mehr von ihm
17.3.12 T tel um 4:45 Uhr dass kvb da war u. tod festgestellt hat, besuch um 10.00 zur
leichenschau: kripo war da, leichenschau durch kvb bereit um 8h gemacht
19.3.12 T st lukas rp angefordert, pat bereits verstorben

In dem Schriftsatz heißt es:

Im Gutachten der Universität fehlt es gänzlich an einer Auswertung der Geschehnisse vom 6.3. bis 17.3.2012.

Die befangenen Gutachter verweigern in ihrem Ergänzungsgutachten erneut jegliche Stellungnahme zu den ärztlichen Maßnahmen nach dem 6.3.2012 bis zum Todestag 17.3.2012 einschließlich.

Fest steht,
dass die letzte Blutentnahme am 5.3.2012 war

und die Untersuchung Leukozyten nur noch mit einem Wert von 2,0 feststellte.

Am 15.3.2012 wurde
eine Virusinfektion

von dem behandelnden Arzt festgestellt.

Die Gutachter ignorieren diese Virusinfektion vollständig, führen allerdings auf Blatt 516 folgendes aus:

„In der Physiologie des Blutes liegt es, dass es zu Schwankungen der absoluten Werte bei den Zellreihen kommen kann; auch andere Begleitumstände wie Infektionen können eine kurzfristige, zumeist milde Veränderung bedingen.“

Im vorliegenden Fall bestand

ab dem 15.3.2012 nicht nur eine Infektion, sondern darüber hinaus eine Virusinfektion.

Mit Feststellung dieser Diagnose war der behandelnde Arzt zwingend verpflichtet, unverzüglich eine neue Blutuntersuchung und die Einweisung des Verstorbenen in ein Krankenhaus zu veranlassen.

Eine Virusinfektion, wie sie für den 15.3.2012 festgestellt wurde, musste in jedem Falle schwerwiegende bis tödliche Folgen für den Patienten haben, wenn nicht sofort die stationäre Behandlung mit ständiger Überprüfung der Leukozyten und Erytrozyten und eine Überprüfung, ob Metamizol weiter verabreicht werden konnte, erfolgte.

Die abgelehnten Gutachter verschweigen diese schweren Behandlungsfehler von Dr. Selmayr, es war ihre Aufgabe, die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres Gutachtens auf dieses krasse Versagen des Arztes hinzuweisen.

Das krasse Versagen von Dr. Selmayr bestand im Unterlassen einer dringend erforderlichen erneuten Blutuntersuchung sowie im Unterlassen der dringend medizinisch gebotenen Überweisung von John Demjanjuk ins Krankenhaus.

Der historische Fortgang vom 15.3.2012 bis zum 17.3.2012 belegt Behandlungsfehler an Behandlungsfehler des Dr. Selmayr bis hin zur telefonischen Verordnung von zusätzlichem Novalgin sowohl am 15.3 bis 17.3. sowie der Weigerung des Arztes, den Patienten aufzusuchen, ihn zu untersuchen und in das Krankenhaus einzuweisen. Den Gutachtern wusste klar sein, dass ab dem 15.3.2012 sich die Behandlungsfehler des Dr. Selmayr ins Unermessliche gesteigert und den Tod des John Demjanjuk verursacht haben.

B e w e i s: Dienstliche Äußerung der abgelehnten Gutachter

Sie mussten im Rahmen ihres Gutachtens die Staatsanwaltschaft auf die Verantwortung von Dr. Selmayr und seine Fehler ab dem 15.3.2012 bis einschließlich 17.3.2012 ausdrücklich aufmerksam machen.

Auf die diesseitigen Schriftsätze, insbesondere den Schriftsatz vom 21.12.2012 wird ausdrücklich inhaltlich verwiesen.

VII.

Das tödliche Risiko der Einnahme von Metamizol außerhalb der Agranulozytose

Die abgelehnten Gutachter verschweigen, dass die Einnahme von Metamizol nicht nur aus Gründen der Gefahr  einer Agranulozytose kontraindiziert war.

Es heißt in den Warnhinweisen:

Novaminsulfon-ratiopharm enthält das Pyrazolon-Derivat Metamizol und besitzt die seltenen, aber lebensbedrohenden Risiken des Schocks (plötzliches Kreislaufversagen) und der Agranulozytose …

Ferner heißt es dort:

Novaminsulfon-ratiopharm darf NICHT eingenommen werden wenn bei Ihnen Erkrankungen der Blutbildung (Erkrankungen des hämatopoetischen Systems) vorliegen.

Unter Ziffer 3 der Gebrauchsinformation Blatt 219 steht im Übrigen:

Wenn Sie eine größere Menge von Novaminsulfon-ratiopharm eingenommen haben als sie sollten: Zeichen einer Überdosierung sind:

Übelkeit, Schwindel, Schmerzen im Bauch- oder Unterleibsbereich, zentralnervöse Störungen wie Krämpfe oder Benommenheit bis hin zum Koma (tiefe Bewusstlosigkeit) Blutdruckabfall bis hin zum Schock (plötzliches Kreislaufversagen), Herzrhythmusstörungen (unregelmäßiger, zum Teil auch vermehrter Herzschlag).

Rufen Sie bei Auftreten dieser Krankheitszeichen einen Arzt zur Hilfe.

Bei den vom Patienten geklagten Beschwerden in der Nacht seines Todes handelt es sich jedenfalls um Beschwerden, die den Krankheitszeichen im vorgenannten Sinne entsprechen. Angesichts der Kenntnis von Dr. Selmayr hinsichtlich dieser Beschwerden seines Patienten war es für Dr. Selmayr zwingend, den Patienten aufzusuchen, zu untersuchen und seine stationäre Einweisung zu veranlassen. Genau diese medizinisch einzig den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Maßnahme hat Dr. Selmayr abgelehnt. Ganz im Gegenteil: Er hat noch massiv Metamizol im Wege der Ferndiagnose nachgelegt. Die abgelehnten Gutachter wissen, dass die Verweigerung der Behandlung des Patienten in der Todesnacht und die Zusatzportion Metamizol in der denkbar massivsten Weise gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstieß und ursächlich für den Tod des Patienten war.

B e w e i s: Dienstliche Äußerung der abgelehnten Gutachter

VIII.

Die medizinische Unvertretbarkeit der im Gutachten niedergelegten Auffassungen

Die Gutachter verlassen den Bereich medizinscher Vertretbarkeit, wenn sie die Hinweise der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft als nur informativ empfehlend abtun. Die Hinweise der Arzneimittelkommission im  Rheinischen Ärzteblatt Juli 2009 werden wie folgt zitiert:

„Metamizol – lebensbedrohliche Reaktionen

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) erinnert daran, dass Metamizol, syn. Novaminsulfon, (Novalgin, viele Generika), nur zugelassen ist zur Behandlung starker Schmerzen und von hohem Fieber,

wenn andere Maßnahmen kontraindiziert oder wirkungslos sind.

Neben dem bekannten zwar seltenen, aber lebensbedrohlichen unerwünschten Hämatologischen Wirkungen (wie Agranulozytose) kann insbesondere bei parenteraler Gabe ein nicht allergisch bedingter Blutdruckabfall bis hin zu einem lebensbedrohlichen Schock auftreten. Die AkdÄ berichtet über  einen solchen Fall bei einem 64-jährigen Patienten, der fatal endete. Insbesondere bei schwerer KHK oder relevanten Stenosen hirnversorgender Gefäße darf Metamizol nur unter sorgfältiger Überwachung hämodynamischer Parameter eingesetzt werden. Sowohl die AkdÄ als auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weisen auf die bekannten Risiken von Metamizol hin und empfehlen unter Beachtung der Indikationen nur eine kurzfristige Anwendung und eine langsame parenterale Applikation unter ärztlicher Überwachung.

AkdÄ und BfArM sehen den hohen Anstieg der Verordnungen von Metamizol mit Sorge und vermuten vermehrte Verordnungen des Analgetikums zulasten der gesetzlichen Krankenkassen wegen dessen Verordnungsfähigkeit als rezeptpflichtiges Arzneimittel.“

Der Hinweis im Rheinischen Ärzteblatt von Juli 2009 wird in der weiteren Anlage überreicht und zum Gegenstand des diesseitigen Vortrages gemacht.

Angesichts des Textes der Warnungen der Arzneimittelkommission und der Warnungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ist der Beweis erbracht, dass die Behauptung, die Klinikärzte und Dr. Selmayr hätten sich nicht an die informativ-empfehlenden Erkenntnisse der Fachgremien halten brauchen,

unverantwortlich und unvertretbar ist.

IX.

BSG Urteil vom 19.3.2002

Schließlich ist auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.3.2002, AZ: B 1 KR 37/00 R  hinzuweisen, in dem die Ausnahmen für den off lable use wie folgt zusammengefasst sind:

Schwerwiegende Erkrankung und

keine andere Therapie verfügbar und

begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolgt (aufgrund der Datenlage)

Davon könne ausgegangen werden, wenn die Zulassung beantragt und Phase III veröffentlicht mit den Ergebnissen einer klinisch relevanten Wirksamkeit oder eines Nutzens bei vertretbaren Risiken oder Erkenntnisse veröffentlicht mit zuverlässigen Aussagen über Qualität und Wirksamkeit, aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über den voraussichtlichen  Nutzen besteht.

Keine dieser vom Bundessozialgericht aufgestellten Bedingungen für einen „off lable use“ sind im vorliegenden Fall gegeben, wenn man

entgegen der Tatsache des „kontra lable use“ zugunsten der Beschuldigten von einem „off lable use“ ausgehen wollte.

X.

Bestimmungswidriger verbotener Gebrauch von Metamizol

Es besteht zusammengefasst kein Zweifel an der Befangenheit der Gutachter, die sowohl die absolute Kontraindikation von Metamizol im vorliegenden Fall als auch den vorliegend gegebenen bestimmungswidrigen Gebrauch im Rahmen eines kontra lable use verschweigen und die Behauptung aufstellen, es handele sich im vorliegenden Fall um einen

mehr oder minder harmlosen und klinisch vertretbaren „off lable use“.

Dass Metamizol in einer Vielzahl von Ländern absolut verboten ist und gar nicht auf dem Markt ist, hat seine guten Gründe, wie der vorliegende Fall in

erschreckender Deutlichkeit zeigt.

Dass die für den Tod von John Demjanjuk verantwortlichen Mediziner seit nunmehr fast 1 ½ Jahren nicht angeklagt sind, dass darüber hinaus offensichtlich befangene Sachverständige als Gutachter eingesetzt und auch noch zu einem Ergänzungsgutachten aufgefordert werden, ist nicht mehr nachvollziehbar.

Die Staatsanwaltschaft wird ersucht, den Einsatz von Novalgin in quantitativer und qualitativer Hinsicht im Arbeitsbereich der 3 Gutachter zu erforschen und zu überprüfen, ob gleichgelagerte Fälle im Bereich des Arbeitsbereiches der 3 Gutachter vorgekommen sind bzw. ob gleichartige Fälle von den Gutachtern in der hier beanstandeten Weise mit Novalgin behandelt wurden.

Dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, die deutsche Ärzteschaft und die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft Ärztinnen und Ärzte in ganz Deutschland inzwischen massiv davor warnen, Metamizol außerhalb der engen Indikationsstellung und außerhalb der Warnhinweise zu verschreiben, dass dies in aller Öffentlichkeit geschieht, ist ein einmaliger und hochgradig beunruhigender Umstand. Die Aufforderung der beiden Institutionen, Metamizol nur unter strenger Beachtung der Indikationen kurzfristig anzuwenden, beweist, dass offensichtlich in ganz Deutschland ein

massiver Missbrauch bzw. massiver bestimmungswidriger Gebrauch von Novalgin

verbreitet ist und Metamizol ohne Rücksicht auf die Risiken für Patienten und  deren Gesundheit eingesetzt wird.

Den Anzeigeerstattern ist kein anderes Medikament bekannt, welches nicht nur in einem Großteil der Erde absolut verboten ist, sondern vor dessen off lable use insbesondere in Deutschland so eindringlich gewarnt und der ausschließliche lable use angemahnt wird. Die Anzeigeerstatter befürchten, dass auch im Bereich der Universitätsklinik der Gutachter ein bestimmungswidriger Einsatz von Metamizol „kontra-indicated“ und außerhalb des lable use und außerhalb der engen Indikationsstellung und gegen die ausdrücklichen Warnhinweise erfolgt ist und erfolgt. Die Anzeigeerstatter befürchten, dass angesichts des offensichtlich in der Bundesrepublik weit verbreiteten Missbrauchs dieses Medikamentes die von der Staatsanwaltschaft Traunstein angesetzten  Gutachter nichts anderes als in

eigener Sache gegutachtet haben.

Die Antragsteller haben deshalb zu Recht und immer wieder die Begutachtung durch ausländische und neutrale Gutachter gefordert. Die von den Gutachtern vertretenen objektiv abwegigen medizinischen Auffassungen belegen die Richtigkeit der Forderung der Anzeigeerstatter.

Gutachter aus Deutschland, deren maßgebliche Institutionen wegen des massiven Missbrauchs von Metamizol dringende Mahnungen und Warnungen veröffentlichen, müssen von vorne herein als Gutachter ausscheiden.

Sie verteidigen nichts anderes als eine verbotene Praxis.

B e w e i s: Dienstliche Äußerung der abgelehnten Gutachter

XI.

Die Angst vor dem medizinischen Skandal nach dem justiziellen
Skandal im Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk und das Verfahren vor dem Landgericht München ist weltweit bekannt.

Über den Prozessverlauf wurde in fast allen Ländern der Erde berichtet, weit mehr als hundert Journalisten aus aller Welt verfolgten zu Beginn den Prozess. Inzwischen ist zu befürchten, dass dieser angeblich letzte große NS-Prozess wohl als einer der größten Justizskandale in der Bundesrepublik Deutschland eingestuft werden muss. Es ist aber nicht nur der Justizskandal, nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens ist es - ganz offensichtlich - zu einem medizinischen Skandal gekommen, indem das akademische  Lehrkrankenhaus Klinikum Harlaching und ein Facharzt für Allgemeinmedizin eines bedeutsamen Altersheimes in Bayern Herrn Demjanjuk eine Medizin verschrieben und verabreicht haben, die absolut kontraindiziert zu einer seiner Erkrankungen war und daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Tod des Verstorbenen verursacht hat. Hinzu kommt ein massives Versagen des Pflegedienstes und des medizinisch verantwortlichen Arztes ab dem 6.3.2012. Die Anzeigeerstatter befürchten, dass die Gutachter diesen medizinischen Skandal nicht aufdecken wollen, nicht nur, um ihre Kollegen zu schützen, sondern auch, um den angeblich guten Ruf der deutschen Medizin zu schützen und um zu verhindern, dass bekannt wird, dass ein medizinischer Skandal den in die Bundesrepublik zu Unrecht zwangsdeportierten und gegen Recht und Gesetz verfolgten John Demjanjuk getroffen und zu seinem Tode geführt hat. Die Gutachter verharmlosen objektiv die Verschreibung und die Vergabe von Metamizol über Monate in hohen Dosen und Überdosen in  einer so erschreckenden Weise, dass man entweder davon ausgehen müsste,  die dringlichen Warnungen der Ärztekommission der Deutschen Ärzteschaft und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte seien absurd und von keinerlei Sachverstand  geprägt. Trotz absoluter Kontraindikation des mit tödlichen Risiken für John Demjanjuk behafteten Metamizols erklären sie den Einsatz von Metamizol gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis und gegen alle medizinischen Warnungen und Hinweise der für die deutsche Ärzteschaft verbindlich sprechenden Institutionen

für klinisch und somit sachlich vertretbar.

Diese Erklärungen sind so unverantwortlich und so falsch sowie medizinisch unvertretbar, dass die Befürchtung der Anzeigeerstatter gerechtfertigt ist. Der medizinische Skandal im Fall Demjanjuk geht weit über den medizinischen Skandal im Falle Mollath hinaus.

Donnerstag, 18. Juli 2013

Rechtsbruch oder Dammbruch?


Die Öffentlichkeit glaubt, der Fall Demjanjuk habe mit der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht München II sein befriedigendes Ende gefunden. Die juristische Wahrheit sieht anders aus:

Das Verfahren ist unter Wegfall des Urteils durch Beschluss des Landgerichts München II vom 5.4.2012 eingestellt worden. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger als:

Durch den Tod des Angeklagten ist der Prozess geplatzt, die Verurteilung des Angeklagten weggefallen und die Kosten des Verfahrens sind

der Staatskasse
auferlegt worden. Der Angeklagte ist unverurteilt und unschuldig gestorben.
Gleichwohl:

Zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland wird ein nicht existentes weggefallenes Urteil als

historisches Urteil und historischer Dammbruch

gefeiert.

Solche Superlativen und Lobeshymnen müssen jedoch dann verstummen, wenn das Urteil so schwere Fehler aufweist, dass der objektive Verdacht eines Rechtsbruchs oder sogar einer Rechtsbeugung entstehen könnte.
Dann müsste das Urteil sicher geistig und physisch geschreddert werden.

Schwere Fehler im Sinne eines nicht ausschließbaren Rechtsbruches hat das Urteil schon dann, wenn es den Angeklagten auch nur bezüglich einer Person zu Unrecht wegen Beihilfe zum Mord an diesem angeblichen Tatopfer in Sobibor verurteilt.

Überprüfen wir also das Urteil und greifen gleich drei Fälle heraus, vgl. Urteilsgründe Seite 34 bis 37:

„Transport vom 11. Mai 1943, in Sobibor angekommen am 14. Mai 1943, mit 1373 Personen; hiervon wurden mindestens 1200 noch am Ankunftstag in den Gaskammern getötet; unter ihnen befand sich die Mutter des Nebenklägers Marco de Groot.“
„Transport von 18. Mai 1943, in Sobibor angekommen am 21. Mai 1943, mit 2461 Personen, hiervon wurden mindestens 2300 noch am Ankunftstag in den Gaskammern getötet, unter ihnen befanden sich der Vater der Nebenklägerin Judith Ashkenasy.“
 „Transport von 25. Mai 1943, in Sobibor angekommen am 28. Mai 1943, mit 2865 Personen, hiervon wurden mindestens 2800 noch am Ankunftsgag in den Gaskammern getötet, unter ihnen befanden sich die Eltern des Nebenklägers Jan Goedel.“
Die Richter konnten den Angeklagten Demjanjuk nur dann wegen Beihilfe zum Mord an der Mutter des Nebenklägers Marco de Groot, an dem Vater der Nebenklägerin Judith Ashkenasy oder an den Eltern des Nebenklägers Jan Goedel verurteilen, wenn ohne Zweifel feststand, dass sowohl diese Tatopfer als auch der Angeklagte am 14.5.1943, am 21.5.1943 und am 28.5.1943 zumindest in Sobibor anwesend waren und zwar zur gleichen Zeit.

Anwesenheit der Tatopfer in Sobibor:

Die Richter hatten ausschließlich Transportlisten aus Westerbork zur Verfügung, aus denen sie ihre Feststellungen, (Seite 34 bis 37) des Urteils entnehmen konnten. Es gab und es gibt weder Ankunftslisten noch eine Erfassung der Tatopfer in Sobibor. Alle Behauptungen über die Ankunft der Mutter des Nebenklägers Marco de Groot, des Vaters der Nebenklägerin Judith Ashkenasy und der Eltern des Nebenklägers Jan Goedel sind und waren nichts anderes als Vermutung und Schlussfolgerungen aus den Abtransportlisten Westerbork. Es gab weder eine Urkunde noch eine Zeugenaussage noch irgendein anderes Beweismittel, mit dem die Richter nachweisen konnten, dass die vier Personen in Sobibor angekommen sind und sodann am 14.5., 21.5. und 28.5.1943 dort vergast wurden.

Der fehlende Beweis der Ankunft der vorgenannten Personen ergibt sich ohne Weiteres aus Seite 36 des Urteils selbst. Wenn am 11. Mai 1943 1373 Personen von Westerbork abtransportiert, jedoch 1200 Personen am Ankunftstag in den Gaskammern von Sobibor getötet wurden, ist das Schicksal von 173 Personen ungeklärt. Für den Transport vom 18. Mai 1943, angekommen am 21. Mai 1943, ist das Schicksal von 161 Personen ungeklärt. Für den Transport vom 25. Mai 1943, angekommen am 28. Mai 1943, ist das Schicksal von 65 Personen ungeklärt.

Wer waren die 173, 161 bzw. 65 Personen? Steht fest, dass die Mutter des Nebenklägers Marco de Groot nicht zu den 173 Personen gehörte? Ist sicher, dass der Vater der Nebenklägerin Judith Ashkenasy nicht zu den 161 Personen gehörte? Wer hat bewiesen, dass die Eltern des Nebenklägers Jan Goedel nicht zu den 65 Personen, die nicht getötet wurden, gehörten?

Das Urteil liefert selbst den Beweis, dass eine Anwesenheit der Angehörigen dieser Nebenkläger am Vernichtungstag in Sobibor nichts anderes als Spekulation ist.

Das Urteil führt auf Seite 94 aus, dass während der Transporte bis maximal 2% der Tatopfer auf dem Weg nach Sobibor verstarben.

Selbst wenn man nur von 1% ausgeht, sind das beim Transport vom 11. Mai 1943 13 Personen, beim Transport vom 18. Mai 1943 24 Personen und beim Transport vom 25. Mai 1943 28 Personen.

Auf Seite 95 erwähnt das Urteil, dass im Einzelfall bei Transporten nach Sobibor Selektierungen für Zwangsarbeiten vorgenommen wurden. Das Urteil räumt ferner ein, dass solche Selektierungen von Zwangsarbeitern bei der Ankunft der Züge aus Westerbork in Sobibor bekannt wurden.

Auf Seite 36 des Urteils heißt es zum Transport von Westerbork nach Sobibor vom 1.6.1943, angekommen am 4.6.1943:

Der Nebenkläger Jules Schelvis wurde mit einer Gruppe von weiteren 80 Häftlingen als Arbeitshäftling ausgesondert und ins Lager Dorohucza geschickt.
Dem Landgericht München II lag vor der Bericht www.deathcamps.org/sobibor/labourcamps_ de.html „Sobibor Arbeitslager“ vor, wo es heißt:

Sobibor war wohl das einzige Vernichtungslager der Aktion Reinhardt, in dem die SS größere Gruppen für die Arbeit in anderen Lagern selektierte (z.B. Budzyn, Trawniki, Poniatowa und Dorohucza). Die Anzahl der Selektierten ist unbekannt.
Den Richtern lag die Aussage der Zeugin Sophia Engelsmann vor dem Landgericht Hamburg aus dem Jahre 1966 vor, wo es heißt:

Ich wurde im März 1943 aus Westerbork, Holland, mit einem Eisenbahntransport nach Sobibor gebracht. Dort waren wir am 15.3.1943. Man fragte dort nach jungen Menschen, die den Beruf von Krankenschwestern oder Waschmädchen ausübten. Zusammen mit 29 anderen Mädchen meldete ich mich und kam am nächsten Tag nach Lublin. Ich meine, zunächst war ich noch einen Tag in Maidanek. Wir 30 Mädchen kamen am nächsten Tag, also am 17.3.1943 in das Lager Alter Flughafen.
Den Richtern lag der Aufsatz des Mitarbeiters der Gedenkstätte Maidanek Robert Kubalek „Die Durchgangsgettos im District Lublin“ vor, der vermerkt:

Als die Aktion Reinhardt begann, vor allem aber, als die Deutschen das Vernichtungslager Sobibor in Betrieb nahmen, wurden aus den in dieses Lager geschickten Transporten, hauptsächlich aus den ausländischen, junge  Männer ausgewählt, die für einige Zeit zur Arbeit in die kleinen Arbeitslager Krychow, Sajczyce, Osowa, Nowosaiolki, Sawin und Adampol verlegt wurden. Wenn man sich eine Karte ansieht, so stellt man fest, dass sie einen Kreis rund um das Vernichtungslager Sobibor bilden. Die Auswahl der Arbeitsfähigen erfolgte auf der Rampe in Sobibor. …

Den Richtern des Landgerichts München war bekannt, dass das Landgericht Hagen in seinem Sobiborurteil auf Seite 399 bestätigt, dass in Sobibor aus den ankommenden Vernichtungszügen Vernichtungsopfer zur Arbeit in den umliegenden Arbeitslagern selektiert wurden.

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht München bestätigte der als Zeuge vernommene Sachverständige Ten Cate, dass aus den 15 Transporten, die Gegenstand der Anklage vor dem Landgericht München II waren, rund tausend Vernichtungsopfer zu Arbeitszwecken in um Sobibor herum liegende Arbeitslager selektiert wurden.

Schließlich berichtet das Urteil auf Seite 95 selbst, dass aus den ankommenden Vernichtungsopfern Arbeitshäftlinge für die Arbeiten im Vernichtungslager Sobibor selbst selektiert wurden. Das Urteil schätzt die Zahl der Funktionshäftlinge auf 600 bis 700, zeitweise auf bis zu 1000 Personen, wobei die Gesamtzahl der insgesamt während der Existenz des Lagers als Arbeitshäftlinge eingesetzten potentiellen Vernichtungsopfer deutlich höher als 1000 Personen errechnet wird.

Damit steht fest:

Es gab keine absolute Personenidentität zwischen den am 11., 18. und 25.5.1943 aus Westerbork abtransportierten und den am 14., 21. und 28.5.1943 vergasten Personen. Wollte das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord an der Mutter des Nebenklägers Marco de Groot, an dem Vater der Nebenklägerin Judith Aschkenasy und an den Eltern des Nebenklägers Jan Goedel verurteilen, musste das Landgericht konkret nachweisen, dass diese Personen allesamt zu der Gruppe der Vergasten, nicht aber zur Gruppe der auf dem Transport verstorbenen, der auf dem Transport selektierten, der in Sobibor in andere Arbeitslager selektierten oder der für Arbeiten im Lager Sobibor selektierten Gruppen gehörten. Einen solchen Beweis oder den Versuch dazu findet man im Urteil auch nicht ansatzweise. Die Behauptung einer bloßen Vermutung und das sich Hinwegsetzen über den zwingend anzuwendenden Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt sich als objektiver Rechtsbruch dar.

Die Anwesenheit des Angeklagten in Sobibor zur Tatzeit
:

Weitere Mindestvoraussetzung für eine Verurteilung des Angeklagten war, dass das Landgericht München II im Urteil nachwies, dass Demjanjuk am 14., 21. und 28.5.1943, dem angeblichen Todestag seiner angeblichen Opfer, physisch überhaupt im Lager Sobibor anwesend war, ganz unabhängig von der Frage, ob man sich durch bloße Anwesenheit am Ort eines Verbrechens schuldig machen kann oder nicht.
Über die Anwesenheit des Angeklagten Demjanjuk gibt es im Urteil nur spärliche Hinweise.  

„Er wirkte im Tatzeitraum vom 27. März 1943 bis Mitte September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor an der Vernichtung der dorthin transportierten Juden mit. …
„Am 26. März 1943 kommandierte die Leitung des Ausbildungslagers Trawniki den Angeklagten zusammen mit 83 anderen Trawniki-Männern ins Vernichtungslager Sobibor ab. Dort tat er bis zum September 1943 Dienst.“
Besonders auffällig sind allerdings die Ausführungen des Urteils auf Seite 182 / 183, wo die Kammer ihre Überzeugung von einer ununterbrochenen Anwesenheit des Angeklagten in Sobibor zum Ausdruck bringt:

Die Kammer sei überzeugt davon, dass der Angeklagte bei der Ankunft der festgestellten 15 Deportationszüge als Wachmann auf im Einzelnen nicht feststellbaren Posten Dienst tat und nicht etwa anderweitig eingesetzt oder sonst verblieben war. Dies sei durch die Aussage eines russischen Wachmannes, Ignat Danilschenko ausdrücklich bestätigt worden.
Das Verfahren hätte keine Hinweise darauf ergeben, dass der Angeklagte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht oder nicht dauernd in Sobibor gewesen sei. Die Kammer sei auch der Überzeugung, dass der Angeklagte bis September 1943 in Sobibor geblieben sei. Die Kammer sei auch davon überzeugt, dass keine anderen Gründe vorlagen, aus denen der Angeklagte zwischen dem 27. März 1943 und seiner Abkommandierung nach Flossenbürg das Lager verlassen haben könnte. Dagegen, dass er erkrankt gewesen sein und die Tatzeit oder einen wesentlichen  Teil hiervon in einem Lazarett verbracht haben könne, spreche die Aussage des Danilschenko. Eine Tätigkeit von Wachleuten, die nach Sobibor abkommandiert worden seien, in einem angeblichen „Nebenlager“ schließe die Kammer aus, weil solche Nebenlager nicht dokumentiert seien und es keine Aussagen von Personen gebe, in denen von solchen Lagern oder Selektionen für solche Lager berichtet würde.
Der Inhalt der Vernehmung des Ignat Danilschenko, des Kronzeugen der Kammer, durch den sowjetischen Geheimdienst KGB aus 1949 und 1979 wird von der Kammer wie folgt mitgeteilt:

In der Vernehmung vom 2. März 1949 benannte Danilschenko auf die Frage nach Personen . . .  die zusammen mit ihm bei der SS gedient hätten, insgesamt 10 Namen von anderen Wachmännern, . . . . Hierbei nannte er unter der laufenden Nummer 4 Demjanjuk Iwan, einen Ukrainer, angeblich geboren 1923. Er habe Iwan Demjanjuk zum ersten Mal im März 1943 getroffen und kennengelernt und zwar im Todeslager Sobibor, wo Demjanjuk als Wachmann bei der SS gedient habe. Demjanjuk habe sich als SS-Wachmann an der Massenvernichtung von jüdischen Zivilisten im Lager Sobibor beteiligt und diese bewacht, um jede Möglichkeit einer Flucht vor der Vernichtung auszuräumen. Er habe sie auch als Wachmann zu den Gaskammern begleitet.
In seiner Vernehmung vom 21.11.1979 benannte Danilschenko ebenfalls den Angeklagten und Ivan Ivchenko als Wachmänner, die mit ihm, Danilschenko, zusammen im ersten Wachmannzug gedient hätten. … Danilschenko gab in dieser Vernehmung ferner an, dass er Demjanjuk erstmals in Sobibor getroffen habe, wobei dieser bereits dort gewesen sei. Demjanjuk habe als einfacher SS-Wachmann gedient und sei ständig mit einem Kampfgewehr bewaffnet gewesen. Wie alle anderen Wachmänner habe er Fluchten aus dem Lager verhindern müssen.“ …
Im Übrigen bemerkt das Urteil, dass weitere Zeugenaussagen, welche die Anwesenheit des Angeklagten im Vernichtungslager Sobibor bestätigen, nicht existieren.

Weder der angeblich echte Dienstausweis 1393 noch die angeblich echten Transferlisten noch die wahre Aussage Danilschenkos reichten in Wirklichkeit aus, um konkret und revisionssicher feststellen zu können, der Angeklagte sei am 14., 21. und 28.5. in Sobibor aufenthältlich gewesen. Die Behauptung des Landgerichts war weder bewiesen noch beweisbar. Gegen eine Anwesenheit des Angeklagten an diesen Tagen in Sobibor sprachen beachtliche, die Notwendigkeit der Anwendung des Zweifelssatzes zwingend auslösende massive Bedenken. Den Beweis dafür liefert zunächst das Urteil selbst auf Seite 205:

„Die Trawniki –Männer hatten nach den tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr den Status eines Kriegsgefangenen. Hiergegen sprechen . . . eine eigene Bewaffnung und die Möglichkeit, Urlaub  zu machen, der ihnen sogar die Reise an ihren Heimatort ermöglichte.“
Diese Behauptung der Schwurgerichtskammer musste einen jeden Richter verpflichten, vor einer Verurteilung konkret sicherzustellen, dass der Angeklagte in der Zeit vom 14.5. bis 28.5.1943 nicht im Urlaub war, dass er während eines solchen Urlaubs nicht in seinen etwa 400 km von Sobibor entfernten Heimatort gereist war. Dieser Verpflichtung sind die Richter nicht nachgekommen.

Die Vernehmung Danilschenkos durch den sowjetischen KGB vom 21.11.1979 hatte einen Inhalt, der den Behauptungen des Urteils zu 100 % widerspricht:

„Demjanjuk wurde angesehen als erfahrener und fleißiger Wachmann. Er wurde, zum Beispiel,
von den Deutschen systematisch in die umliegenden Ghettos geschickt, um Juden abzuholen und brachte sie mit Kraftwagen ins Lager zur Vernichtung. Ich bekam solche Aufgaben nicht, da ich nicht genug Erfahrung hatte. Demjanjuk bewachte, von der Außenseite des Bereichs des Vergasungswagens, die Barracke der Arbeitsgemeinschaft, die den Vergasungswagen bediente. Auf diesem Posten sah ich ihn vielmals mit dem Gewehr. Ob er den Bewachungsdienst innerhalb des Bereiches des Vergasungswagens leistete, weiß ich nicht. Dafür, dass Demjanjuk alle Befehle von Deutschen gewissenhaft ausführte, bekam er, sowie ich mich erinnere, oft Urlaubsscheine. Ob er durch Deutsche ausgezeichnet wurde, kann ich mich jetzt nicht erinnern.“
Diese Passagen aus der Aussage des Zeugen Danilschenko sucht man im Urteil vergeblich, obwohl auch diese Passagen der Vernehmung Danilschenkos durch Verlesung der entsprechenden Urkunde in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.

Die Richter haben die Aussagen des Zeugen Danilschenko vor dem sowjetischen KGB, einer der größten Verbrecherorganisationen der Nachkriegszeit, die ihre Opfer regelmäßig folterte, als glaubwürdig bezeichnet. Von Folter durch den KGB könne keine Rede sein.

Folgt man somit diesen Aussagen von Danilschenko und den Angaben des Landgerichts München über die Urlaubsreisen von Trawniki in ihre Heimatorte, waren die Richter des Landgerichts München gezwungen, davon auszugehen, dass der Angeklagte Demjanjuk trotz angeblicher Dienstzeit vom 26.3.1943 bis zum 1.10.1943 oftmals infolge von Urlaub und Reisen in seinen Heimatort in Sobibor gar nicht anwesend war, auch und gerade, wenn Vernichtungszüge aus Westerbork ankamen.

Die Kammer musste somit entweder den Zweifelssatz  anwenden und den Angeklagten freisprechen oder aber konkrete Beweise beibringen, die zweifelsfrei belegten, dass der Angeklagte am 14., 21. und 28.5.1943 im Lager Sobibor anwesend war.

Was die Richter des Landgerichts München im vorliegenden Fall zu tun hatten, hatten ihnen bereits 1993 die 5 höchsten Richter Israels vorgemacht, als sie bei völlig identischer Beweislage es mit ihrem Richtereid nicht vereinbaren konnten, einen möglicherweise Unschuldigen unter Verletzung des Zweifelssatzes wegen Sobibor zu verurteilen.

Die entsprechenden Urteilspassagen lauten wie folgt:

„Sogar nach den Aussagen Danilschenkos in der Sowjetunion war Iwan Demjanjuk abwesend von Sobibor von Zeit zu Zeit und Danilschenko wusste nicht, wo Iwan Demjanjuk während dieser Zeiträume war. Gemäß Danilschenkos Worten gab es Abwesenheitszeiten des Iwan Demjanjuk von Sobibor. Danilschenko konnte keine präzisen Angaben hinsichtlich der Daten und der Gründe für die Abwesenheitszeiten geben und man kann aus seinen Angaben nicht ableiten, dass er wusste, wohin Demjanjuk ging, wenn er von Sobibor abwesend war. …
Es ist bereits mehrfach angemerkt worden, dass Danilschenko Abwesenheitszeiten Demjanjuks außerhalb Sobibors bestätigt und es ist nicht möglich festzustellen, wo er während dieser Abwesenheitszeiten war. …
Die vielen Abwesenheiten Demjanjuks von Sobibor waren ein ungewöhnliches Phänomen, wie bewiesen wird durch das Faktum, dass sie in Danilschenkos Gedächtnis blieben über Jahre. Aus Danilschenkos Aussagen wird klar, dass Demjanjuk viele Abwesenheitszeiten hatte. …  Wir haben gesehen, dass Demjanjuk Danilschenko nicht gesagt hat, wohin er gereist ist während seiner häufigen Abwesenheitszeiten.“
Und daraus ziehen die Richter des Supreme Court Israel die von Rechtswegen zwingend gebotenen und einzig möglichen rechtlichen Schlussfolgerungen des Richters, der geschworen hat, nur der Gerechtigkeit und Wahrheit zu dienen:

Justice Barak: “But what was his job at Sobibor? We don´t know anything. Every wachtman is in charge of something. In order to convict him, it isn´t enough what we have. Maybe he just went with convoys to Warsaw and Lublin and Krakow. We don´t know what he did there. What punishment can we impose on him? How do we even know what his job was there.
Can you say that from the standpoint of legal fairness, fairness to ourselves we can now change the whole picture and say that he killed Jews at Sobibor? What did he do at Sobibor? Whom did he see? Whom did he meet? Who saw him? We don´t know anything. This is my sensitivity and that´s what I wanted to say on the subject.”
Die Richter des Landgerichts München hatten vielleicht kein so gutes Gedächtnis wie Danilschenko, dem die vielen Abwesenheiten Demjanjuks von Sobibor über Jahrzehnte im Gedächtnis geblieben waren.

Hatten die Richter der Schwurgerichtskammer die kurz vorher verlesenen Passagen in der Aussage Danilschenkos zur Zeit der Urteilsberatung schon wieder vergessen? Im Urteil des Landgerichts München steht von den vielen Abwesenheitszeiten des Angeklagten kein Wort.

Die höchsten Richter Israels standen in ihrem Demjanjuk-Verfahren unter  Druck, den Angeklagten Demjanjuk zu verurteilen, wenigstens wegen Sobibor.

Sie haben dem Druck Stand gehalten und den Gesetzesbefehl, im Zweifel den Angeklagten freizusprechen, beachtet. Warum haben die Richter Alt, Pfluger und Lenz bei völlig identischer Beweislage wie in Israel den Angeklagten verurteilt? Warum haben sie Aussagen Danilschenkos, die die häufige Abwesenheit des Angeklagten von Sobibor belegten, nicht übernommen und ihrem Urteil zugrundegelegt? Warum sind sie von einer Daueranwesenheit des Angeklagten in Sobibor vom ersten bis zum letzten Tag seines angeblichen Dienstes ausgegangen und haben damit zulasten des Angeklagten ein Sachverhalt konstruiert, den es nach den Bekundungen ihres eigenen Kronzeugen  Danilschenko gar nicht gegeben hat? Ist das Nichterwähnen und Nichtprüfen massiver den Angeklagten entlastender Umstände Rechtsbruch oder Dammbruch?

Dabei kann man diese Frage fast dahingestellt sein lassen, da nicht nur der Rechtsbruch, sondern auch der Dammbruch normalerweise nichts anderes als eine

Katastrophe auslöst.

Der Eindruck einer Katastrophe, die die Verurteilung eines Unschuldigen immer darstellt, drängt sich um so eher auf, als zahlreiche weitere der Schwurgerichtskammer bekannte Indizien den Nachweis einer Anwesenheit des Angeklagten am 14., 21. und 28.5. ausschlossen.

So mussten ja die in Sobibor für die tatsächlich existierenden umliegenden Arbeitslager selektierten Ankömmlinge durch Trawniki, die Sobibor zugeteilt waren, eskortiert und in den Arbeitslagern bewacht werden.

Die Kammer musste beweisen, dass es  nicht der Angeklagte war, der Jules Schelvis nach Dorohucza verbachte und Sophia Engelsmann nach Lublin.

Der jüdische Arbeitshäftling Dow Freiberg, der von Mai 1942 bis Oktober 1943 in Sobibor gefangen gehalten wurde, berichtete, dass nach Sobibor abkommandierte Trawniki nach Treblinka versetzt wurden. War der Angeklagte unter dieser Personengruppe? Der als Experte vor den bundesdeutschen Gerichten hoch geschätzte Prof. Scheffler berichtete zu diesem Themenkomplex vor dem Bezirksgericht Jerusalem:

There were also transfers between bases which were not reported to headquarters, and which were not recorded at all (pp. 3413, 3471), (vgl. Seite 327 des Urteils).
Mit dieser Aussage von Prof. Scheffler war den Eintragungen im angeblich echten Dienstausweis und den Eintragungen auf den angeblich echten Transferlisten jeder Beweiswert genommen. Die Eintragungen bewiesen nur den Transfer nach Sobibor, nicht aber einen Aufenthalt des Angeklagten in Sobibor, der genauso gut ohne jede Eintragung und ohne jede schriftliche Urkunde einem ganz anderen Lager zugewiesen sein konnte und sich deshalb gar nicht in Sobibor aufhalten musste.
Prof. Dr. Rüther hatte mit Schreiben vom 9.11.2012 ausdrücklich gewarnt. Es heißt in seinem Schreiben an Staatsanwalt Dr. Lutz:
  
„Denn gerade in dieser Zeit (in der der Angeklagte Demjanjuk in Sobibor gewesen sein soll) haben Arbeitskommandos jüdischer Sobibor-Häftlinge unter Anleitung und Bewachung von Deutschen und fremdvölkischen Mitgliedern des dortigen Lagerpersonals die in der vorhergehenden Zeit geräumten Ghettos im Umland von Sobibor abgerissen. Die dabei eingesetzten Lagerpersonal-Angehörigen können sich während dieser Abreiss-Aktionen schwerlich an Verbrechen in Sobibor beteiligt haben. Das hat bereits im ersten Hagener Sobibor-Verfahren zum Freispruch Wenzels im Falle Kapo Moische geführt.“
Es fehlte auch nicht an Warnungen aus Deutschland. So fragte Prof. Prittwitz im Strafverteidiger November 2010:

Was, wenn Demjanjuk mehrfach Ausgang oder Urlaub hatte, was, wenn er krank war?

Fazit:

Das Landgericht hat weder die Anwesenheit der Angehörigen der Nebenkläger noch die Anwesenheit des Angeklagten Demjanjuk am 14., 21. und 28.5.1943 in Sobibor feststellen können. Es hat den Angeklagten zu Unrecht wegen Beihilfe an der Ermordung der Angehörigen der drei Nebenkläger verurteilt.

Missbrauchte Nebenkläger?

Was für die Angehörigen der Nebenkläger Marco de Groot, Judith Ashkenasy und Jan Goedel gilt, gilt für alle Angehörigen aller anderen Nebenkläger in gleicher Weise.
Der „letzte große NS-Prozess“ stellt nicht nur einen unschuldigen ausländischen Kriegsgefangenen vor ein Gericht des Tätervolkes und vermittelt damit den Eindruck „ausländischer Schuld am Holocaust“, sondern produziert auch noch ein glattes Fehlurteil. Das ist nicht nur ein Dammbruch, sondern ein

Fiasko,

snicht zuletzt für alle Nebenkläger, denen ein Opfer des Naziterrors als „Kriegsmonster und Nazischerge“ präsentiert wurde.

Samstag, 22. Juni 2013

Demjanjuk Akten: Top Secret

Der Fall wird immer mysteriöser

Die „Mutter aller Akten“, die Akte 1614 des sowjetischen KGB mit 1400 Seiten, wurde der Verteidigung von John Demjanjuk im Prozess vor dem Landgericht München II vorenthalten. Ergaben sich aus dieser Akte Hinweise auf eine Fälschung des angeblichen Dienstausweises 1393, gab es darin Beweise der Unschuld von Demjanjuk? Man mied jedenfalls die Akte wie der „Teufel das Weihwasser“. Alle Anträge der Verteidigung auf Beiziehung wurden „abgeschmettert“.

Jetzt, im Jahre 2013, mithin zwei Jahre nach Beendigung des Prozesses, stempeln die USA ihre Demjanjuk-Korrespondenz mit der Bundesrepublik und ihre Unterlagen

Top Secret.

Der Beweis ist der Bescheid des Auswärtigen Amtes vom 11.06.2013. Der Bescheid hat folgenden Wortlaut:

Auswärtiges Amt

Auswärtiges Amt, 11013 Berlin                                  HAUSANSCHRIFT
                                                                                 Werderscher Markt 1
Herrn                                                                         10117 Berlin
Rechtsanwalt
Dr. Ulrich Busch                                                         Postanschrift    
Sohlstättenstraße 121                                                 11013 Berlin      

40880 Ratingen                                                          Referat: 505-IFG

                                                                                  TEL + 49 (0)30 18-17-6070
                                                                                  FAX + 49 (0)30 18-17-53518

                                                                                  IFG-Anfragen@diplo.de
                                                                                  www.auswaertiges-amt.de

BETREFF  Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
       HIER  Einreise und Strafverfahren gegen John Demjanjuk
    BEZUG 1. Ihre Anfrage vom 21.11.2011
                   2. Bescheid vom 12.01.2012; Gz.: siehe unten
                   3. Ihre Anfrage vom 12.04.2012
                   4. Bescheid vom 23.04.2012; Gz.: siehe unten
                   5. Ihr Schreiben vom 24.04.2013
           GZ  505-511.E-IFG 20111121404044
                   (bitte bei Antwort angeben)
                                                                                 Berlin, 11.06.2013           


Sehr geehrter Her Rechtsanwalt Dr. Busch
  
unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 24.04.2013 und die o. g. Anfrage auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) ergeht in Ergänzung des Bezugbescheides zu 4. folgender

Bescheid:

Ein Anspruch auf Informationszugang zu den im Bezugsbescheid zu 2. unter den Nummern 1 und 2 genannten Unterlagen (Schreiben bzw. Informationen, um deren vertrauliche Behandlung die US-Seite explizit gebeten hat und Unterlagen, deren Urheber die US-Seite ist) nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG besteht nicht.

Begründung:

Die oben benannten Unterlagen können auf Grundlage des § 3 Nr. 1a IFG nicht herausgegeben werden, da dies zu einer Beeinträchtigung der bilateralen Beziehungen zu den USA bzw. der Zusammenarbeit mit den US-Behörden führen könnte.
Diese Ausnahme vom Grundsatz des Informationszugangs schützt das diplomatische Vertrauensverhältnis zu internationalen und europäischen Einrichtungen sowie ausländischen Saaten, das auch die Vertraulichkeit des Informationsaustauschs beinhaltet.

Diese Vorschrift räumt dem Auswärtigen Amt als informationspflichtiger Stelle einen weiten Beurteilungsspielraum in der Frage ein, was nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen sind. Ein Nachteil ist dabei „was den außenpolitischen Zielen und der zu ihrer Erreichung verfolgten außenpolitischen Strategie abträglich ist. Wann eine Auswirkung auf die Beziehungen zu einem ausländischen Staat ein solches Gewicht hat, dass sie in diesem Sinne als Nachteil anzusehen ist, hängt (…) von der Einschätzung der Bundesregierung ab.“ (BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 – 7 C 22/08 = NVwZ 2011, 321, 322).

Die Zusammenarbeit zwischen US-Amerikanischen und Deutschen Behörden ist auch im Bereich Recht und Strafverfolgung sehr eng und basiert auf einem lang gewachsenem gegenseitigem Vertrauen. Es ist Ziel der deutschen Außenpolitik, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren US-Amerikanischen Partnern weiterhin zu fördern und auszubauen.

Im Falle Ihrer Mandantin teilten uns die amerikanischen Behörden auf Nachfrage der deutschen Botschaft in Washington mit, dass der Herausgabe besagter Unterlagen nicht zugestimmt würde, da dadurch unter anderem die Verfahrensweisen der amerikanischen Strafverfolgung sowie die Identität vertraulicher Quellen offengelegt würden.

Die Preisgabe dieser vertraulichen Information entgegen dem ausdrücklichen Votum der amerikanischen Seite durch das Auswärtige Amt könnte das diplomatische Vertrauensverhältnis zu den USA nachhaltig stören, unter anderem auch weil dadurch Informationen „gleichsam offiziell“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 – 7 C 22/08 = NVwZ 2011, 321. 323) bekannt gemacht würden.
  
Dieser Bescheid ergeht gebühren- und auslagenfrei.
  
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Birgit Lietz

Ihre Rechte (Rechtsbehelfsbelehrung):

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Auswärtigen Amt, Referat 505 (IFG), Werderscher Markt 1, 10117 Berlin, einzulegen. Wird der Widerspruch schriftlich erhoben, so gilt die Frist  nur gewahrt, wenn der Widerspruch vor Ablauf der Frist beim Auswärtigen Amt eingegangen ist.
  
Wird wirklich das diplomatische Vertrauensverhältnis zu den USA durch Zugang zu dem Schriftverkehr zwischen der USA und der Bundesrepublik Deutschland im Fall Demjanjuk nachhaltig gestört? Oder geht es um etwas ganz anderes?

Die USA hatten im Jahre 2008 Deutschland um Übernahme des angeblichen ehemaligen SS-Angehörigen John Demjanjuk ersucht, nachdem Polen zuvor Ende 2007 das Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Demjanjuk wegen fehlender Beweise rechtskräftig eingestellt hat. Am 27.05. unterzeichneten MR Dr. Maaßen und MinR Dr. Romann eine Ministervorlage unter dem Aktenzeichen B3-645 355 II Demjanjuk zum Übernahmeersuchen der USA, worin es wörtlich heißt:

Eine rechtliche Verpflichtung, Herrn Demjanjuk von den USA zu übernehmen, besteht für die Bundesrepublik Deutschland nicht. Demjanjuk war nie deutscher Staatsangehöriger. Allein daraus, dass er Angehöriger der Waffen-SS war, ergibt sich keine Rückübernahmeverpflichung Deutschlands…

In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung Übernahmeersuchen für Personen mit NS-Vergangenheit, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, regelmäßig abgelehnt. Die US-Behörden hatten seit den 1990er Jahren wiederholt gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesregierung diese Personen über Deutsche oder Europäische Flughäfen oder den Flughafen Ramstein nach Deutschland eingeschleust; zuletzt im September 2007 einen ehemaligen rumänischen Staatsangehörigen, der Angehöriger des SS-Wachregiments im Konzentrationslager Sachsenhausen war (vgl. Ministervorlage vom 24.09.2007 – Anlage 2).

Vor diesem Hintergrund ist Herr Demjanjuk auf Erlass des Referates B3 seit dem 23.05.2008 im Schengener-Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung durch das Bundespolizeipräsidium ausgeschrieben, um gegebenenfalls eine Einreise des Betroffenen mit einem US-amerikanischem Reisepass zu verhindern.
  
Votum

Es wird vorgeschlagen, dass Ersuchen der US-amerikanischen Behörden hinsichtlich der Übernahme des Herrn Demjanjuk durch die Bundesrepublik Deutschland abzulehnen und die Einreise in das Bundesgebiet unter Beibehaltung der Fahndungsausschreibung im SIS, unbefristet zu verweigern.

Diese Ministervorlage entsprach exakt der Rechts- und Gesetzeslage der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland durfte den 89-jährigen schwerkranken Demjanjuk aufgrund der deutschen Rechtslage niemals von den USA übernehmen. Das genaue Gegenteil ist dann aber eingetreten. Die Gründe für diesen „Sinneswandel“ um 180 Grad dürften aus den nunmehr zu Geheimakten erklärten Demjanjuk-Papieren hervorgehen. Woher und warum dieser „Sinneswandel um 180 Grad“? Welche Rolle hat die Politik und die Exekutive bei der Frage gespielt, ob bzw. dass Demjanjuk erneut unter Verstoß gegen Deutsches Recht und Gesetz in Deutschland vor Gericht werden sollte? Das Legalitätsprinzip stand nie zur Verfügung, weil es sich nur auf Inländer bezieht. Dass Deutschland „moralisch verpflichtet“ gewesen sein soll, Demjanjuk von einem deutschem Gericht und von den Nachfahren des „Tätervolkes“ verurteilen zu lassen, hat mit dem Gesetz und dem Recht nichts gemein. Wo war im übrigen die Moral, als Ludwigsburg und alle deutschen Staatsanwaltschaften zehntausende von Deutschen SS-Wachleuten und zehntausende von Wehrmachtsangehörigen in KZ-Lagern, Vernichtungslagern und Kriegsgefangenenlagern still und heimlich amnestierte und eine Grosszahl der Nazibosse von Bundesdeutschen Gerichten freigesprochen wurden, wie der Chefkommandant und Ausbilder der Trawniki-Truppe, SS Hauptsturmführer Streibl?


Die jetzige erneute Sperrung wichtigster Demjanjuk Akten und Papiere als „Top Secret“ lässt befürchten, dass der Prozess gegen John Demjanjuk der erste „Politische Prozess“ in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland war. 

Mittwoch, 22. Mai 2013

Der Schuss geht nach hinten los


Die Nachricht, die Zentralstelle Ludwigsburg habe gegen ca. 50 deutsche im Greisenalter befindliche ehemalige SS-Wachleute des Konzentrationslagers Auschwitz Vorermittlungen wegen Beihilfe zum Mord eingeleitet, hat in den Medien zunächst einen kollektiven Freudentaumel ausgelöst.

Ganz langsam stellt sich aber Ernüchterung ein, plötzlich sieht sich Ludwigsburg selbst massiver Kritik ausgesetzt, der es sich mit Argumenten kaum erwehren kann:

Warum erst jetzt, 70 Jahre nach Kriegsende? Warum lebten die deutschen mutmaßlichen Beihelfer zum Mord über Jahrzehnte unbehelligt unter uns? Hat die Zentralstelle Ludwigsburg in der Vergangenheit gegenüber deutschen SS-Wachleuten versagt, hat sie vor deutscher Schuld die Augen verschlossen oder war sie gar blind bei deutscher Schuld?

Die Antwort von Ludwigsburg ist stets stereotyp dieselbe, „frei nach Neckermann“:

Erst Demjanjuk macht's möglich!

Dabei handelte es sich um nichts anderes als eine unhaltbare Ausrede. Der Hinweis auf Demjanjuk und das Verfahren vor dem LG München ist eine Irreführung der Gesellschaft und der Öffentlichkeit.

Um den Medien und der Öffentlichkeit das Verfahren gegen Demjanjuk schmackhaft zu machen, musste eine Legende gestrickt werden. Die wahren Hintergründe des Falles sind von den verantwortlichen Stellen nie zugegeben worden.

Nach dieser Legende soll der ehemalige Richter am Landgericht Landau, Thomas Walther, an seinem Dienstcomputer in der Zentralstelle gesurft haben und per Zufall auf Demjanjuk gestoßen sein. Er soll dann die gegen Demjanjuk in Amerika ergangenen Ausweisungsurteile gelesen haben.
  
Dann habe ihn das in Deutschland herrschende Legalitätsprinzip angetrieben und dafür gesorgt, dass Demjanjuk nach Deutschland abgeschoben wurde, um so das Strafverfahren gegen ihn und seine Verurteilung zu ermöglichen.

Europa als Komplize Hitlers

In Wirklichkeit ging es Walther um etwas ganz anderes: Was Walther dachte und plante, wird in Zeit Online, www.zeit.de/2009/28/DOS-Demjanjuk wie folgt beschrieben:

Walther glaubt, Demjanjuk könnte noch einmal ein großer Fall sein. Sein Fall. Mit ihm könnte er eine Praxis durchbrechen, die ihn immer gestört hat: Die deutsche Justiz hatte es stets vermieden, über Nazikollaborateure aus dem Baltikum, aus Ungarn, Rumänien oder der Ukraine zu richten – Menschen, die die Deutschen erst zu Opfern und dann zu Tätern gemacht hatten.

Walther ging es im Falle Demjanjuk um die Neuschreibung der Geschichte und um die Widerlegung der
These von der Alleinschuld Deutschlands am Judenmord.

Der deutschen und europäischen Öffentlichkeit sollte mit der exemplarischen Verurteilung von Demjanjuk bewiesen werden,  dass der Holocaust ohne die aktive Mitwirkung einer Vielzahl europäischer Nationen gar nicht möglich war bzw. nicht hätte stattfinden können. Walthers Ziel war:

Heraus aus der Alleinschuld Deutschlands, Transformation der Alleinschuld in eine Gesamtschuld Europas durch Nachweis der Komplizenschaft zahlreicher europäischer Nationen mit Nazi-Deutschland.

In der Allgemeinen Zeitung az.online.de wird Walther in einem Interview, publiziert am 15.5.2013, wie folgt zitiert:

Wir hatten die Idee, diesen Fall als „door opener“ zu nutzen und uns den prominenten Namen (Demjanjuk) zu Nutze zu machen.

Es ging gar nicht um die Schuld oder Unschuld von Demjanjuk, es ging nicht um das Erreichen gesetzlicher Zwecke des Strafprozesses im Rechtsstaat, Demjanjuk war das Instrument, Demjanjuk war der Steigbügelhalter, um die Geschichte neu zu schreiben und sie zu verfälschen. Das wahre Ziel des Demjanjuk Prozesses war:

Deutschland wäscht sich von der Alleinschuld rein auf Kosten anderer europäischer Nationen.

In Form eines Gerichtsurteils gegen Demjanjuk sollte die Botschaft an Europa lauten:

Ohne die Mithilfe einer Vielzahl von freiwilligen Helfern aus zahlreichen europäischen Nationen war der Holocaust nicht möglich und hätte gar nicht stattgefunden.

Der Holocaust als europäisches Projekt

Der Wunsch Deutschlands nach Absolution

Die wahren Ziele des Demjanjuk-Prozesses wurden im Spiegel-Artikel über die europäischen Handlanger des Holocausts offenbar:

Die Deutschen waren die Mörder, aber auch viele Nichtdeutsche mordeten mit. Der Fall John Demjanjuk lenkt jetzt den Blick auf einen vernachlässigten Aspekt des Judenmordes der Nationalsozialisten: Hitlers Häscher hatten willige Helfer für ihr Jahrtausendverbrechen – in fast allen Ländern Europas. …  Auf den Totenfeldern in Osteuropa kamen auf einen deutschen Polizisten bis zu 10 einheimische Hilfskräfte. Ähnlich war das Zahlenverhältnis in den Vernichtungslagern. Zwar nicht in Auschwitz, das fast ausschließlich von Deutschen betrieben wurde, wohl aber in Belzec, Treblinka oder eben Sobibor, wo mutmaßlich John Demjanjuk wütete. Dort standen einer Handvoll SS-Leute ungefähr 120 Trawniki zur Seite. Ohne diese hätten es die Deutschen „niemals geschafft“, in Sobibor 250.000 Juden umzubringen, urteilt ein Überlebender. Es waren die Trawniki, die das Lager bewachten, die Juden nach ihrer Ankunft aus den Waggons und von den Lastwagen trieben, sie in die Gaskammer prügelten. Vor diesem Hintergrund stellt sich eine Frage, die der Berliner Historiker Götz Aly schon vor Jahren formuliert hat: Handelt es sich bei der „Endlösung der Judenfrage“ wohlmöglich um ein „europäisches Projekt, das sich nicht allein aus den speziellen Voraussetzungen der deutschen Geschichte klären lässt?

Welch fürchterliche, die deutsche Alleinschuld verharmlosenden und gefährlichen Sätze, die der deutschen Sehnsucht nach einer Beendigung des Traumas Holocaust und einer Absolution so sehr entgegenkommen und die Geschichte so schrecklich verfälschen! Eine Handvoll Nazis gegen Massen von Ukrainern und Trawnikis. Bezogen auf Belzec, Treblinka und Sobibor, drei Mal eine Handvoll Nazis gegen Hunderte von judenmordenden Trawniki = Ausländern.

Selbst der einfältigste Historiker müsste unverzüglich einer solchen Geschichtsverfälschung widersprechen und einen Sturm der Entrüstung entfachen. Die Thesen suggerieren eine massenhafte Komplizenschaft der europäischen Völker auf Augenhöhe mit wenigen Nazis aus Deutschland, die man angeblich an einer Hand abzählen kann. Es wird verschwiegen, dass Trawniki nichts anderes als Diensthunde der Nazis waren, die von den Nazis mit brutaler Gewalt dazu gezwungen wurden, die Drecksarbeit in den Vernichtungslagern für die deutschen Nazischergen zu erledigen. Parierten sie nicht, wurden sie von den deutschen Nazis erschossen. Und es wird verschwiegen, wie viele Nazis tatsächlich an der Aktion Reinhardt, der fast zwei Millionen Juden zum Opfer fielen, beteiligt waren. Dabei ist der Abschlussbericht des Leiters dieser Aktion allgemein bekannt und zugänglich.

Selektive Justiz

Der Fall Demjanjuk war und ist selektive Justiz und damit vom Beginn der Ermittlungen bis hin zur nie rechtskräftig gewordenen, weggefallenen Verurteilung verfassungswidrig. Kein anderer Trawniki, kein anderer angebliche europäischer Komplize von Hitler wurde wegen seiner angeblichen Verbrechen im Ausland in Deutschland vor Gericht gestellt. Weitere Trawnikis waren und sind nicht greifbar. Trawniki sagten in deutschen Naziprozessen als Zeugen aus, sie blieben unbehelligt, konnten frei anreisen und frei wieder in ihre Heimatlänger zurückreisen. Ihnen gegenüber wurde niemals ein Vorwurf erhoben, schon deshalb nicht, weil Deutschland gar nicht zuständig war. Im Übrigen galt für Trawniki unwiderlegt und unwiderlegbar über 70 Jahre, dass sie unter Bedrohung von Leib und Leben zum Dienst gezwungen wurden und wegen Befehlsnotstandes entschuldigt waren.
  
Aber auch deutsche SS-Wachleute in Konzentrations- und Vernichtungslagern waren überhaupt nicht im Visier von Ludwigsburg. Für diese Deutschen galt nach wie vor die „stille Amnestie“, von der Zehntausende deutscher SS-Wachleute und Wehrmachtsangehörige in Konzentrations- und Vernichtungslagern der SS und der Wehrmacht profitiert haben. Es war diese stille Amnestie und nicht der Fall Demjanjuk, die auch zugunsten der nunmehr von Ludwigsburg ausgewählten 50 Greise galt.

Dass die Zentralstelle nunmehr gegen die letzten 50 oder 100 deutschen SS-Wachleute in Konzentrations- und Vernichtungslagers Ermittlungen beginnt, ist ausschließlich der Widerlegung des Vorwurfes einer selektiven verfassungswidrigen Einzelverfolgung von Demjanjuk geschuldet.

Nachdem das Verfahren gegen Demjanjuk gescheitert ist und andere Trawniki als Sündenböcke nicht zur Verfügung stehen, wurde der juristische Besuch in deutschen Altersheimen und Siechen- und Pflegestationen angetreten, um dort noch die letzten SS-Wachleute aufzuspüren und aus ihren Betten zu holen. Ein jüdisches Opfer, das Auschwitz überlebt hat, hat in der Sendung Kontraste vom 16.5.2013 im Interview ausgesagt:

Was Ludwigsburg jetzt macht, ist das Allerletzte.

Damit ist alles gesagt. Schon das Verfahren gegen John Demjanjuk grenzte an eine „Verhöhnung des Holocaust und seiner Opfer“. Im Strafprozess geht es zentral um den Angeklagten, seine Bestrafung, seine Resozialisierung, nicht aber um Geschichtsunterricht oder um Vorlesungen eines Historikers. Die Strafe soll auf dem Fuße folgen. Nichts, gar nichts von diesen Zielen eines Strafprozesses ist 70 Jahre danach heute erreichbar. Das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte trifft auf Angeklagte, die von schweren Krankheiten gezeichnet, mit Schmerzmitteln vollgepumpt, gerade und soeben noch die letzten Tage ihres erlöschenden Lebens mit Unterstützung einer Vielzahl von Pflegern und unter ständiger medizinischer Versorgung zu meistern versuchen. Das immer wieder gehörte Argument, die juristische Verfolgung solcher Personen sei deshalb notwendig, weil diese bei ihren Taten keine Rücksicht auf ihre Opfer genommen hätten, ist eines Rechtsstaates unwürdig. Und das Argument“ besser spät als nie“ rechtfertigt nicht, Strafprozesses zu führen, die nicht mehr zu einem rechtskräftigen Schuldspruch führen und die mit dem Strafrecht verbundenen Strafzwecke gar nicht mehr erreichen können.

Die Opfer des Holocausts sollten sich aus Gründen ihrer eigenen Menschenwürde und aus Gründen des würdigen Andenkens an ihre ermordeten Angehörigen zu schade sein, an Prozessen gegen Sterbende mitzuwirken. Die Schließung der Zentralstelle ist angezeigt.